Interview mit André RI. Jaeger (Human Resources Director Revlon & Elizabeth Arden / verheiratet, 2 Kinder)

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Er ist Human Resources Director des amerikanischen Kosmetikherstellers Revlon & Elizabeth Arden. Sein Herz schlägt auch für das amerikanische Volk, vor diesem Hintergrund spricht er mit uns über das aktuelle Geschehen in den USA, wichtige HR Themen und über die Digitalisierung.

 

1. Vorab Dir ein gutes und gesundes, neues Jahr! 2020 war ein Jahr, das Vieles auf den Kopf gestellt hat. Die Pandemie hat uns dazu gezwungen umzudenken, neue Wege einzuschlagen und den Fokus zu verändern. Was nimmst Du für Dich als positive Erkenntnis aus diesem Jahr mit und was hat Dich besonders erschreckt?

Auch für Dich, für das ganze Drei Grad Team und auch für alle Leser/innen ein gesundes, erfolgreiches und glückliches neues Jahr 2021; verbunden mit dem Wunsch, dass wir dann auch wieder mehr Unbeschwertheit - hoffentlich ab Sommer!? - ausleben können.

Zu Deiner Frage: Tatsächlich habe ich verstärkt erkannt, dass es trotz eines so markanten Einschnitts in die meisten Bereiche meines Lebens, immer weiter geht. Auch wenn die Corona Krise mein Arbeitsvolumen nochmals deutlich erhöhte, so hatte ich dennoch intensivere Zeiten mit meinen fast erwachsenen Kindern, meiner Frau, Familie und Freunden.

Sport und Bewegung an der frischen Luft, die Natur und Wandern in einer entschleunigten Welt.

Erschrocken wäre nicht ganz passend, aber ich hätte in einer so vermeintlich aufgeklärten Zeit nicht (mehr) erwartet, das Trennendes, Polemik und sogar reale Propaganda noch solch eine Wirkung erzielen können/konnten.

2. Die Anzahl der Medien und Nachrichten ist in den letzten Jahren förmlich explodiert, der Medienkonsum um ein Vielfaches gestiegen. Siehst Du diese Entwicklung kritisch oder begrüßt Du die vorhandene Vielfalt?

Grundsätzlich bereichert Vielfalt immer.

Voraussetzung ist für mich auch das zeitgleiche Erlernen/Vermitteln von Medienkompetenz - nicht nur für die Schüler. Ich habe den Eindruck, dass wir viele Jahre den großen Nachrichtenquellen vertrauen konnten. Diese waren zumeist kompetent und seriös ermittelt. Nun gibt es durch die vielen Medienangebote auch die Möglichkeit Informationen (massenhaft) zu teilen die vollkommen unwahr sind. Also wirkliche und reale Informationen von Falschmeldungen zu unterscheiden ist heute wahrscheinlich deutlich schwieriger als noch vor 20 Jahren, aber auch umso wichtiger.

3. In den USA kommt es nun zum Präsidentenwechsel. Donald Trump hat vier Jahre lang seine ganz eigene Sicht der Dinge propagiert und hierfür Medien wie Twitter, Instagram, Facebook & Co. genutzt und hiermit ein gesamtes Volk tatsächlich gespalten. Auch Du hast bereits in den USA gelebt und gearbeitet und bist auch aktuell für einen US-Brand beruflich aktiv. Was wünscht Du dem amerikanischen Volk für die Zukunft?

Jede Kultur hat seine eigenen Seiten. Bereits als Schüler während meines ersten längeren Aufenthalts im Mittleren Westen der USA habe ich erkannt, dass meine damalige Vorstellung über „die USA“ und die Realität in diesem sehr großen und vielfältigen Staat weiter auseinander standen als vermutet. Das bedeutete für mich, dass es schwierig ist von außen eine Kultur vollständig verstehen zu können.

Ich wünsche meinen amerikanischen Freunden, Gastfamilien und natürlich allen US-Amerikanern Frieden, den Mut wieder einander zuzuhören, die Wunden zu schließen. Die Kraft sich wieder „neu zu erfinden“ und die Werte: Freiheit und Pioniergeist wieder neu zu prägen und zu leben.

Vielleicht dem „reinen Turbo Kapitalismus“ ein wenig weniger Raum zu geben. Wem hilft es überhaupt, wenn es nur noch Einzelne sind, die das Kapital vermehren, aber für viele ein lebenswürdigeres Leben unerreichbar scheint? (Sorry, ein wenig zu pathetisch, oder?)

4. Wenn Du Dir Deinen aktuellen Job einmal genauer anschaust – glaubst Du, dass die voranschreitende Digitalisierung ihn in seiner ureigenen Form verändern wird und wenn ja, wie?

Davon bin ich überzeugt. Nur als ein Beispiel aus einem meiner Teilbereiche. So hat ein/e Personalentwickler/in im Jahre 2005 häufig noch mindestens zu 70% mit dem „Hauptkontakt Mensch“ gearbeitet und die Kernkompetenzen bewegten sich im Bereich der Wissensvermittlung, verbale Kommunikation, Empathie und Methodenkompetenz. Heute sind darüber hinaus deutlich mehr IT-Fähigkeiten, Methoden der "Agilität" gefragt und man verbringt ein Vielfaches vor dem PC und nutzt die Möglichkeit der Digitalisierung.

5. Viel wird aktuell über das Thema New Work gesprochen. Wie hat sich, aus Deiner Sicht heraus, das Thema Arbeit in den letzten Jahren verändert und welchen Stellenwert wird der Beruf künftig bei den Menschen haben?

Wäre „Corona Time“ nicht gewesen, wären meines Erachtens bereits jetzt noch mehr spürbare Trendbewegungen zu betrachten. Jede Generation hat auch eigene Erwartungshaltungen an die Zeit, die für viele die Längste des wachen Zustands ist: die Arbeitszeit.

Wie sinnstiftend, wie existenzsichernd und wie fordernd und fördernd kann man als Mensch erwarten, dass diese Zeit ist!?

Corona-Time unterbricht für einige Zeit voraussichtlich den Trend, aber es wird nur ein wenig verzögern. Große Veränderungen des Arbeit“erlebens“ sind notwendig und nicht aufzuhalten. Je nach sozialer Absicherung wird der Anteil größer von Personen, die arbeiten, um zu leben und weniger Leben, um zu arbeiten.

Dies ist ein wirkliches Potential für Unternehmen, denn freie und zufriedene Mitarbeitende sind das große Potential für eine Dienstleistungsgesellschaft wie in Mitteleuropa. Deutlich kreativer, leistungsbereiter und offener als eine Belegschaft unter Druck jemals sein kann.

6. Glaubst Du, dass wir in der deutschen Wirtschaft gut aufgestellt sind, wenn es um die Themen HR, Fach- und Führungskräfte, Employer Branding und Digitalisierung geht?

HR wird sich seine neue Rolle suchen und finden, ich bin überzeugt davon, dass wir einen Bereich benötigen, der sich auf die Menschen in einem Unternehmen fokussiert.

Also keine „interne Polizeikultur“, sondern wirkliche Business und People Partner. Von solchen Persönlichkeiten sind viele bereits aktiv und im Nachwuchs.

Fach- und Führungskräfte erleben für mich einen wirklichen Wandel.

Wenn früher viele Führungsrollen haben wollten, weil es notwendig war, um "Karriere zu machen", so erlebe ich seit einigen Jahren eine Trendumkehr.

Eine nicht unwesentliche Anzahl von (ehemaligen) Führungskräften wollen nicht mehr Mitarbeitende und Teams führen. Als Begründung nennen sie vermehrt, dass sie diese Verantwortung und die persönliche (Mehr-)Belastung als nicht honoriert empfinden. Die Teams seien anspruchs-, erwartungsvoller und aufgrund der wahrgenommenen „Eigenorientierung des Einzelnen“ sei das Führen im Sinne eines Kollektivgedanken kaum mehr möglich.

Im Gegenzug hierzu erlebe ich viele Personen sehr zufrieden in ihrer Rolle des „Karriere-Spezialisten/in“. Hier können sich viele inhaltlich und fachlich entfalten, brauchen ggf. deutlich weniger soziale Konflikte austragen, weniger Konsens erarbeiten.

Mal schauen, was die Leser hierzu meinen, ob sie dies auch in ihrem Umfeld so wahrnehmen. Ich freue mich über Feedback.

Ich glaube, wir hatten eine ausreichende Entwicklung zu dem nächsten Punkt Employer/e Branding in den vergangenen Jahren. Die Konzentration auf die Zielgruppe Bewerber/in ist erfreulicherweise mittlerweile gelebter Standard.

Die Digitalisierung steht für mich gerade als einer der relevanten Zukunftsthemen. Hier erlebe ich derzeit einen fantastischen Schub, der für viele Menschen (und Firmen) eine nachhaltige positive Entlastung von Arbeit bedeuten kann, für die man keine „menschliche Befähigungen“ benötigt.

7. Die nachrückenden Generationen nennt man nicht umsonst „Digital Natives“. Ihr Selbstverständnis mit dem Umgang mit Handys, sozialen Medien, Kommunikation und dezentralem Arbeiten ist beachtlich. Allerdings sehen wir auch immer wieder einen nicht unerheblichen Generationenkonflikt, da die vermeintlich Älteren dem digitalen Konsum oftmals kritisch gegenüberstehen. Wie siehst Du das? Fehlt es der reiferen Generation an Toleranz hierfür oder spielt auch das Thema Angst eine Rolle, da die Befürchtung besteht, am Arbeitsplatz inhaltlich nicht mehr bestehen zu können?

Ich erlebe wohl häufiger die Angst vor dem „nicht mehr genügen“ zu können.

Hier besteht unsere Aufgabe auch generationsübergreifend zu vermitteln. Denn kann man durch digitales Konsumieren und die daraus neu entstehenden Möglichkeiten nicht auch vieles Positives ziehen!? Wer hätte wohl Anfang der 1980ér Jahre sich vorstellen können, dass ein einziges (kleines) Gerät den Fotoapparat, die Videokamera, den Videorecorder, das Telefon, den Fernseher, den Maßstab, die Fotoalben, den Kalender und vieles mehr ersetzen kann. Et voilà, das Handy! Kaum eine/r möchte derzeit hierauf verzichten.

Ich halte den Satz meines ehemaligen Ausbilders bis heute für richtig: Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.

Während meiner Tätigkeit in einem sehr innovations- und produktionsstarken Unternehmen habe ich zu dem oben genannten Thema inspirierende Erfahrungen machen können:

Dabei haben wir mit den Mitarbeitenden seinerzeit ein neues „Zukunft-Konzept“ aufgebaut. Bei anstehender Beendigung der Beschäftigung durch die Rente wurden aus dem derzeitigen Stelleninhaber und der/die Nachfolger/in für mindestens einen Tag der Woche ein „Knowledge-Transfer-Team“ (Start mind. 10 Monate zuvor).

Anfänglich war es nicht immer konfliktfrei, wenn Boomer und Generation Y aus unterschiedlichen Lebens- und Arbeitswelten gezwungen waren ein Team zu bilden.

Mit der Unterstützung des HR Teams als Coach und Sparringspartner (meist nur für die ersten 3 Sessions überhaupt nötig) haben wir hauptsächlich sehr erfolgreiche Übergaben erlebt.

Bei denen langjährige Fach- und Führungskräfte nochmals über sich hinausgewachsen sind. Diese haben teilweise noch IT-Wissen (dann auch für die Hobbies in der Rente) oder agile Methoden kennen- und anwenden gelernt, die sie jahrelang zuvor als „nicht mehr nötig“, mehr oder weniger offensichtlich, abgelehnt hatten.

Auch weil die Nachwuchskräfte es geschafft hatten das Interesse hierfür zu wecken.

Diese wiederum haben in den finalen Feedbacks deutlich gemacht, dass sie dieses „kollegiale Coaching“ als ihr bestes Personalentwicklungsinstrument überhaupt erlebt haben. Dadurch erlernten sie genrationsübergreifendes Arbeiten und dies war auch eine gute Schule, um in diversen/internationalen Teams arbeiten zu können.  

8. Als Director Human Resources stehst Du bei Deinem Arbeitgeber, der Revlon & Elizabeth Arden, in einer großen Verantwortung. Was bedeutet für Dich in diesem Zusammenhang das Thema Führung? Wie interpretierst Du sie für Dich in Deinem Job?

Tatsächlich ist meine derzeitige Aufgabe spezieller als alle meine Aufgaben der letzten Jahrzehnte. Dies liegt insbesondere daran, dass ich hier nicht nur die reine Personalleiteraufgabe einnehmen konnte/durfte.

Meine Kurzformel lautet: „Treat People right and profit will follow!“

Insgesamt stehe ich in diesem Sinne für Verbindlichkeit, Vertrauen und Vorleben. Um auch unternehmerisch Erfolg zu haben, ist es mir wichtig, mein Umfeld zu stärken, zu bilden, kollegial zu coachen und auch, dass ich mit meinem Umfeld wachsen darf. Ich „entleihe“ mir fast täglich etwas Neues von meinen Kollegen/innen.

Meine Erwartungshaltung ist nicht die, dass ich alles besser machen könnte als meine Mitarbeitende/n, sondern ich sehe mich umgeben von talentierten Virtuosen und meine Aufgabe (analog eines Dirigenten) ist nur die; einzelne gute Leistungen zu einem für alle großartigen Ergebnis (Konzert) werden zu lassen.

9. Wird sich das Thema Führung / Leadership in den kommenden Jahren weiter verändern? Welche Erwartungen haben Arbeitnehmer an ihren Arbeitgeber?

Zum ersten Punkt: anspruchsvoller, abwechslungsreicher, andere Biografien, härter, aber lehrreicher und auch offen für andere Biografien als in der Vergangenheit üblich.

Zu dem Thema Erwartungen hatte ich weiter oben schon einige Gedanken geteilt. Ich würde noch Authentizität, Ehrlichkeit und Mitgestaltungswunsch als Impulse sehen.

10. Zu guter Letzt ein Blick auf das Thema „Werte“. Wenn Du drei Werte benennen solltest, die Dich umschreiben, welche sind das und warum ausgerechnet diese?

Menschenfreund, interessiert und loyal.
Was mich zu dem gemacht hat, wer ich heute bin? Das versuche ich schon seit Jahren herauszufinden.

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